Panel 04. Prob­le­ma­ti­sierend: Dif­feren­tielle Ge­füge in Be­we­gung – Zur Po­li­ti­sierung von Platt­formen

Chair: Jun.-Prof. Dr. Jennifer Eickelmann (FernUniversität in Hagen)

Panelbeschreibung:
„Neben der juridischen Regulierung von Plattformen sind auch zivilgesellschaftliche Initiativen, Projekte und Praktiken von Relevanz. Im Kontext zivilgesellschaftlicher Politisierungen von Plattformen geht es nicht zuletzt um Problematisierung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entlang intersektionaler Differenzkategorien entlang algorithmisierter Aufmerksamkeitsmärkte. Davon ausgehend fokussiert das Panel auf konkrete Formate, Ästhetiken und Praktiken zivilgesellschaftlicher Gegenstrategien im Kontext Sozialer Medien.”

Jennifer Eickelmann ist Juniorprofessorin für Digitale Transformation in Kultur und Gesellschaft an der FernUniversität in Hagen. Zuvor war sie wiss. Mitarbeiterin am Lehrgebiet für Soziologie mit dem Schwerpunkt Soziale Ungleichheit. 2017 promovierte sie am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum mit einer Arbeit zur Materialität mediatisierter Missachtung. Gemeinsam mit Katrin Köppert und Peter Risthaus gibt sie die Reihe Digitale Kulturen bei Hagen University Press heraus. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen an der Schnittstelle von Medientheorie, Ungleichheits-/Kultursoziologie sowie Gender/Queer Media Studies und beschäftigen sich mit der digitalen Transformation von Subjektivierungsprozessen und affektiven Öffentlichkeiten, insbesondere im Kontext digitaler Gewalt, sowie dem digitalen Wandel des Kuratorischen im Kontext von Museen und Social Media.

Sicherheit im DSA problematisieren: Soziale Medien als „sichere” Räume?

Julia Fischer (FernUniversität in Hagen)

Abstract:
„Sicherheitsversprechen sind keine neuartigen Phantasmen, sind sie doch eng verknüpft sowohl mit der Entstehung wie auch Legitimation rechtsstaatlicher Prinzipien. So ist es zunächst nicht weiter verwunderlich, dass der Digital Services Act (DSA) als Reg(ul)ierungsinstrument der Europäischen Union (EU) mit dem Slogan umworben wird: ‚Mehr Sicherheit und Verantwortung im Online-Umfeld‘. Entsprechend verspricht die amtierende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Sicherstellung des digitalen Raums als ‚safe space‘. Nun kann durchaus in Frage gestellt werden, ob ‚das Online-Umfeld‘ und damit auch digitale Teilöffentlichkeiten jemals ‚safe spaces‘ waren, sind oder überhaupt sein können. Ebenso offen ist, ob ein marktwirtschaftlich-orientiertes Gesetz zur Vereinheitlichung des Binnenmarkts für digitale Dienste einen ‚safe space‘ in diesen Teilöffentlichkeiten herzustellen vermag. Wie so häufig kommt es darauf an, aus welcher Perspektive wer oder was adressiert wird. Der Vortrag beschäftigt sich auf dieser Grundlage einerseits aus Perspektive der feministischen Politikwissenschaftlerin Carol Bacchi und des Philosophen Michel Foucaults mit den Problematisierungen von ‚Sicherheit‘ durch den DSA und den damit verbundenen Sicherheitsphantasmen, die durch die Policy hergestellt werden. Doch welche Ein- und Ausschlüsse sind damit verbunden? Und wie könnten Un_Sicherheiten in digitalen Teilöffentlichkeiten über den Rahmen juridischer Logiken hinaus problematisiert und politisiert werden? Um den Fokus entsprechend zu weiten, greift der Vortrag daher andererseits zivilgesellschaftliche Strategien insbesondere aus (queer)feministischer Perspektiver auf, um verschiedene Politisierungsweisen von Sicherheit im Kontext Sozialer Medien zu diskutieren.”

Julia Fischer arbeitet seit Juli 2022 als studentische Mitarbeiterin am Lehrgebiet für Digitale Transformation in Kultur und Gesellschaft an der FernUniversität in Hagen. Derzeit schließt sie ihr Masterstudium der Gender Studies & Politikwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum mit einer Arbeit über die Problematisierungen von „Sicherheit” im Digital Services Act ab. Ihre Forschungsinteressen liegen an den interdisziplinären Schnittstellen der Gender Media/Queer Studies sowie Politik- & Rechtswissenschaften, insbesondere mit Blick auf feministische politische Theorien und Feminist Science & Technology Studies.

Digitaler Antifaschismus und Politische Bildung – Content Creator:innen und zivilgesellschaftliche Interventionen auf Plattformen

Prof. Dr. Julia Bee (Ruhr-Uni Bochum)

Abstract:
„Der Vortrag entwickelt einen Ansatz der Digitalen Politischen Bildung. Digitale Politische Bildung erweitert bestehende Konzepte kritischer politischer Bildung in Bezug auf Prävention und Gegenmaßnahmen zum Faschismus im Netz (Fielitz/Marcks; Degeling/Hoffmann/Strick, Fuchs). So wie Digitaler Faschismus (Filietz/Marcks) eine soziotechnische Konfiguration ist, müssen auch Gegenmaßnahmen unter digitalen Voraussetzungen gedacht und geplant werden. Der Vortrag diskutiert die Arbeit politischer Content Creator:innen als Akteur:innen der digitalen politischen Bildung. Dabei werden eine Reihe von Problemen im Zwischenbereich von Bildung und Aktivismus behandelt. Wie gestalten politische Akteur:innen auf Plattformen demokratische Diskurse, wie informieren oder intervenieren sie? Welche Probleme (Qualitätskontrolle, digitale Gewalt, Influencer:innenökonomien) gehen damit einher? Nicht nur inhaltliche, sondern auch medienästhetische Ansätze spielen eine wichtige Rolle. Wie werden bestehende Plattformen genutzt und neue Ästhetiken und digitale Diskursräume geschaffen? Welche Probleme mit den Infrastrukturen der Plattformen gehen mit ihnen einher? Besonderes Augenmerk wird auf Content Creator:innen wie ContraPoints und PhilosophyTube gelegt. Wie können selbstorganisierte Vloger:innen und Netzwerke wie BreadTube oder Interventionen wie ReclaimTikTok dem Rechtsruck auf den Plattformen entgegenwirken? Perspektiven aus den Gender und Queer Studies sind dabei zentral, denn Ansätze aus diesem Feld entlarven und analysieren rechte Strategien der Gender- und Wissenschaftsfeindlichkeit.”

Julia Bee ist Professorin für Gender Media Studies unter besonderer Berücksichtigung von Diversität an der Ruhr-Uni Bochum. In ihrer Forschung sind intersektionale Ansätze und Gender Medien Theorie zentral. Mit diesen Perspektiven blickt sie  u.a. auch auf die Klimakatastrophe. Sie forscht zu experimentellen und kreativen Prozessen der Wissensproduktion und -vermittlung. Gesellschaftliche Vermittlungs- und Kooperationsprozesse sind dabei zentral. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte sind: Gender, Intersektionalität und Medien; Klimagerechtigkeit und Medienwissenschaft; Mobilität und Fahrradmedien; Digitale Politische Bildung und Gender; Experimentelle Methoden; kollaborative Verfahren zwischen Uni und Zivilgesellschaft; Visuelle und sensorische Anthropologie; Affektpolitiken und -theorien.
Publikation zum Thema: Kontrapunkte setzen – Digitale Politische Bildung mit ContraPoints.

No politics here, please!

Eine vergleichende Analyse der Politik digitaler Plattformen

Maik Fielitz (Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena)
Marcel Jaspert (Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena)

Abstract:
„Digitale Plattformen sind Orte des sozialen und politischen Austauschs. Mit der Entwicklung sozialer
Netzwerke zu kommerzialisierten Anlaufstellen für Interessengruppen und Unternehmen nutzten
politische Akteure zunehmend die auf Metriken getrimmten Infrastrukturen zur Verbreitung ihrer
Botschaften. Da die Meta-Plattformen Manipulationsmechanismen jahrelang nicht in den Griff
bekamen, zogen sie im Februar 2024 für politische Botschaften den Stecker: Meta spielt seitdem keine
politischen Inhalte mehr über die Algorithmen ein, um sich (vermeintlich) neutraler zu verhalten.
Dieser Schritt ist im Kontext der Entwicklung eigener politischer Entscheidungen der Plattformen im
Umgang mit schädlichen Inhalten zu verstehen. Plattformen können sowohl durch technische
Grundlagen als auch durch das Plattformmanagement die Grenzen des Austauschs und die Sichtbarkeit
von Positionen und Personen beeinflussen. Forschung zeigt eine technisch bedingte Tendenz zur
Polarisierung auf Plattformen, die Hass und extremistische Agitation fördert. Daher hat das Kuratieren
von Inhalten auf digitalen Plattformen an Bedeutung gewonnen, einhergehend mit einer
zunehmenden Regulierung digitaler Kommunikation, die sich an politischen und ökonomischen
Entwicklungen orientiert. Die Plattformlandschaft besteht aus etablierten Plattformen, die zu
unterschiedlichen Zeitpunkten auf den Markt kamen, aus diversen Teilen der Welt stammen und sich
in ihren Merkmalen unterscheiden. Dieser Beitrag zeigt die politischen Dimensionen und
Entwicklungen in der Plattformlandschaft auf und untersucht, inwieweit sich Plattformpolitiken
voneinander unterscheiden, aber auch gegenseitig bedingen. Der Beitrag soll dazu beitragen, das
politische Handeln digitaler Plattformen verständlicher zu machen.”

Marcel Jaspert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Im Rahmen des vom BMBF geförderten NEOVEX-Verbundprojekts erforscht er die Rolle, Politik und Rechtfertigungsmuster digitaler Plattformen bei der Verbreitung und Einhegung rechtsextremer und verschwörungsideologischer Dynamiken.

Maik Fielitz ist Bereichsleiter für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung am Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft sowie Co-Leiter der Forschungsstelle der Bundesarbeitsgemeinschaft
„Gegen Hass im Netz”. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht die Frage, wie digitale Technologien und
digitale Kulturen den Rechtsextremismus beeinflussen und wie liberale Demokratien autoritären
Tendenzen in Online-Kontexten begegnen.

Hass im Netz und die Konstruktion des „guten” Diskurses

Dr. Sebastian Althoff (Universität Paderborn)

Abstract:
„‚Ein Tweet, ein Post, ein Bild – der Hass ist nie weit, die Meute rottet sich schnell zusammen, die Eskalationsstufen sind schnell erklommen, egal wie nichtig der Anlass, egal wie groß die Diskrepanz zwischen Auslöser und Resultat‘ (Diekmann, 2021, S. 9). So oder so ähnlich wird im deutschsprachigen Raum seit Jahren eine Assoziation zwischen den Worten Hass und Netz nähergebracht. Diese Assoziation identifiziert nicht nur einen abzulehnenden Diskurs, sondern, so wird argumentiert, konstruiert auch den im Gegensatz positiven, erstrebenswerten, legitimen und demokratischen Diskurs. Dieser ‚gute‘ Diskurs erhält Durchsetzungskraft gerade durch den Kontrast zum Abzulehnenden. Dies lässt sich etwa an den Büchern untersuchen, die alle paar auf dem deutschen Markt landen und seinen Leser:innen den Hass im Netz erklärt – Bücher wie Hass ist keine Meinung: Was die Wut in unserem Land anrichtet, geschrieben von der Grünen-Politikerin Renate Künast, oder Die Shitstorm-Republik: Wie Hass im Netz entsteht und was wir dagegen tun können von der Journalistin Nicole Diekmann. Auf eine Auswahl dieser Bücher konzentriere ich mich, um zu zeigen, wie der ‚gute‘ Diskurs Betroffenenperspektiven überdeckt bzw. nekropolitisch inkludiert, das heißt, den Handlungsdruck und Legitimation, welche durch Gewalt produziert werden, von den Betroffenen zu einem ‚Wir‘ der liberal-demokratischen Gesellschaft und ihrer Akteur:innen transferiert. Durch diese Inklusion wird ein bestimmtes Modell von Demokratie legitimiert und als bedroht gesetzt, welches Demokratie als erfüllt und zu bewahren versteht – der Status quo wird versicherheitlicht – und in individuellen Standpunkten verankert, die durch Konfrontation mit konträren Standpunkten ‚besser‘ werden sollen. Dies hat zur Folge, dass Gruppen, die sich auf sozialen Medien organisieren oder damit in Bezug gesetzt werden können, von vorhinein dem Verdacht ausgesetzt sind, einem ‚schlechten‘ Diskurs zu folgen, bei dem Signalwörter wie Hass, Meute oder Eskalation nicht weit sind. Die sozialen Medien als Orte der politischen Organisation und Willensbildung werden dadurch delegitimiert.” 

Sebastian Althoff ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienwissenschaften, Universität Paderborn. Prägende biografische Eckpunkte waren: Studium der politischen Philosophie in Bayreuth, Frankfurt und der EHESS in Paris; Mitarbeit an der Akademie der Bildenden Künste München und in der Forschungsgruppe Medien und Mimesis; schließlich 2021 Promotion in Medienwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Seine derzeitigen Forschungsprojekte kreisen um die Verurteilung des Hasses, die Delegitimation sozialer Medien und dem Begriff des Überlebens. Althoff ist der Autor von Digitale Desökonomie: Unproduktivität, Trägheit und Exzess im digitalen Milieu.